Kita-Management in Zeiten des Personalmangels

Beitrag von Michael Klitzsch

Der Fachkräftemangel im pädagogischen Sektor ist allgegenwärtig. Bundesweit fehlen laut des Fachkräfte-Radars für KiTa und Grundschule 2021 der Bertelsmann-Stiftung schon heute mehr als 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Bis 2030 rechnet die Studie sogar mit bis zu 230.000 fehlenden Fachkräften.

Unser Redakteur Michael Klitzsch schaut sich für Sie regelmäßig in der Bildungslandschaft um und gibt Einblicke in die Arbeit der aim. 

Wie stellt man unter diesem enormen Druck des Personalmangels eine gute Qualität im Kita-Alltag sicher? Geht das überhaupt?

Klar ist: Einfach ist es nicht. Entscheidend sei zwar, „was die Kinder in der Kita erleben, nicht wie viel Personal da ist”, sagt Stefan Faas, Professor für Sozial- und Kindheitspädagogik sowie Leiter des Zentrums für Qualitätsforschung und Monitoring in der Kinder- und Jugendhilfe (ZQM) an der PH Schwäbisch Gmünd. Dennoch gebe es natürlich einen gewissen Zusammenhang zwischen der Strukturqualität (Was habe ich als Kita an personellen, räumlichen und materiellen Ressourcen zur Verfügung?) und der Prozessqualität (Was erleben die Kinder in der Kita? Welche Interaktionen finden täglich statt?). Dieser Zusammenhang zeige sich etwa darin, „wie viel Zeit Fachkräfte haben, um mit den Kindern zu sprechen und ihnen Dinge zu erklären – wie entspannt oder hektisch sie dabei sind”, erläutert der Bildungsexperte. Kann ich das Kind in Ruhe antworten lassen? Kann ich ihm gezielte Anregung geben, mit ihm etwa Bilderbücher anschauen oder Spiele spielen? „Ob ich mit 15 bis 20 Kindern allein bin, oder ob ich zu zweit oder zu dritt bin, macht da natürlich einen Unterschied”, so der Bildungsforscher.

„Wenn wir mit wenig Personal auskommen müssen, müssen wir genau überlegen, wie die Kinder dennoch Erfahrungen machen, die substanziell für ihre Entwicklung sind.“

Prof. Dr. phil. Stefan Faas

Knappes oder stark fluktuierendes Personal heißt eben oftmals auch: keine oder wenig verlässliche kontinuierliche Arbeit mit den Kindern, erläutert Faas: „Wenn ich sehr viel Wechsel habe bei den Kolleginnen und Kollegen, dazu viele Vertretungskräfte, dann kann es schwierig sein, eine grundlegende Basis zu finden: Wie wollen wir eigentlich gemeinsam mit den Kindern umgehen? Finden wir so etwas wie einen gemeinsamen Rahmen? Unterstützen wir uns gegenseitig?”

So weit, so schwierig. Doch auch wer als Kita-Leitung mit wenig Personal haushalten muss, hat eine Chance auf eine qualitativ hochwertige Einrichtung. Es brauche allerdings einen gewissen Fokus auf bestimmte Aspekte der Arbeit mit den Kindern, führt Faas aus: „Wenn wir mit wenig Personal auskommen müssen, müssen wir genau überlegen, wie die Kinder dennoch Erfahrungen machen, die substanziell für ihre Entwicklung sind.”

Hier kommt eine weitere Größe im Qualitätsmanagement ins Spiel: die Orientierungsqualität. Faas erläutert diese so: „Was haben Fachkräfte im Kopf, welche Einstellungen und Haltungen haben sie, welches Wissen haben sie, wenn sie mit Kindern arbeiten?” Denn aus Einstellungen, Haltung und Wissen der Erzieherinnen und Erzieher können große Unterschiede mit Blick auf die Entwicklung der Kinder erwachsen, etwa in Bezug auf Fragen wie: Was braucht ein Kind, wenn es zwei, drei Jahre jung ist und ohne Deutschkenntnisse in die Einrichtung kommt? Es kommt darauf an, welche Antworten sie auf solche grundlegenden Fragen geben beziehungsweise ob sie überhaupt Antworten haben. Faas berichtet: „Aus der Forschung wissen wir, dass diese notwendigen Kenntnisse oftmals fehlen.”

Ein Beispiel sei in diesem Zusammenhang auch die Debatte um die „Verschulung“ des Kindergartens, um Kompetenztrainings und additive Verfahren im Vorschulalter. Im Kontrast dazu gebe es auch eine stark sozialpädagogische Haltung, die genau das Gegenteil behauptet, erläutert Professor Faas: „Diese Seite sagt, Kinder müssen vor allem frei spielen und am besten gar keine Instruktionen bekommen.” Aus der Forschung wisse man aber, dass es am wirksamsten sei, „eine sinnvolle Balance zwischen beidem herzustellen.” 

„Was wirklich entscheidend ist, ist eine hohe Sprachqualität im Alltag, die das Kind viele Stunden am Tag einfach erlebt und an der es sich beteiligen kann.“

Prof. Dr. phil. Stefan Faas

In Bezug auf das Beispiel des Kindes ohne Deutschkenntnisse bedeutet dies: „Wenn ein Kind Sprachdefizite hat, ist es vielleicht sinnvoll etwa eine halbe Stunde eine intensive Sprachförderung zu bekommen. Aber Kinder lernen in diesem Alter nicht wie in der Schule, man kann nicht einfach schulisches Lernen vorverlegen. Was wirklich entscheidend ist, ist eine hohe Sprachqualität im Alltag, die das Kind viele Stunden am Tag einfach erlebt und an der es sich beteiligen kann”, erläutert der Bildungsexperte. 

Für die könne die Kita-Leitung etwa sorgen, wenn Sprache in den Alltag der Einrichtung integriert werde, so Faas. Etwa im Bereich Schrift: Eltern tragen sich beispielsweise mit ihren Kindern in ein Buch ein, wenn sie kommen und gehen. Gerade mit den Kindern, die zu Hause eher wenig Kontakt zu Schrift und Büchern haben, schreiben die Erzieher:innen Einkaufslisten oder einen Brief an die Eltern. Das Gleiche gelte für den Bereich Zahlen, Mengen und Gewichte. Auch eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesen mathematischen Größen kann spielerisch im Alltag auftauchen: „Wie viele Eier brauchen wir für den Kuchen?” „Wie viele Löcher müssen wir noch buddeln für die Tulpen, die wir pflanzen wollen?” „Wie viele Reihen hoch ist der Bausteine-Turm, den ihr gebaut habt? Lass uns die Zahl aufschreiben!”

Oft geht die Integration dieser Themen in den Alltag bei der Gestaltung der Einrichtung los. Faas: „Die erste Frage ist: Sind diese Themen hier im Gruppenraum sichtbar, wenn ich mich einfach nur umschaue. Da sind wir manchmal erstaunt, wie lieblos eine Bücherecke aufbereitet ist, oder wie wenig Bücher überhaupt da sind. Oder dass mathematisches Material wie Ziffern gar nicht präsent ist.” Denn nur wenn Kinder etwas entdecken können, können sie auch fragen: „Was ist denn das?”

„Eine gute Kita-Leitung denkt nicht nach starren Konzepten, sondern von der grundlegenden Frage her: Welche Kriterien für Qualität gibt es? Und was davon wollen und können wir überhaupt leisten?“

Prof. Dr. phil. Stefan Faas

Um diesen Blick, die Sensibilität für diese Themen zu entwickeln, gezielt Lernanregungen zu geben, braucht es Erfahrung bei den Fachkräften – und Anleitung. Und in diesem Zusammenhang sei es „ein Fehler, dass es in den meisten Einrichtungen eine ganz flache Hierarchie gibt und jeder alles macht”, findet Professor Faas. Oftmals wäre es hilfreich, wenn Fachkräfte gewisse Bereiche wie die Integration der Kinder, die sprachlich zu kämpfen haben, priorisierten, sagt Faas. Dazu helfe es, entsprechende Weiterbildungen und Teamqualifizierungen zu nutzen und das Wissen in die Einrichtung weiterzugeben.

Ebenso hilfreich sei eine gewisse Flexibilität bei der Wahl der Konzepte. „Offene Gruppen sind prima, wenn das Personal dafür da ist, etwa ein verteiltes Spielen auf mehr als hundert Quadratmetern zu betreuen.” Für manche Personalsituation könne es in Kitas aber besser sein, eine klassische Gruppenstruktur zu wählen. „Das eine ist nicht grundsätzlich besser als das andere.” Es komme auf die individuellen Gegebenheiten an, so Faas. „Eine gute Kita-Leitung hat das im Blick. Weil sie die Einrichtung nicht nach starren Konzepten denkt, sondern von der grundlegenden Frage her: Welche Kriterien für Qualität gibt es? Und was davon wollen und können wir überhaupt leisten?”

Um die Antworten auf diese spezifischen Fragen zu finden, bietet Professor Faas im Kooperationsprojekt „Qualität durch Weiterbildung” mit der Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken (aim), der pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und der pädquis Stiftung, deren wissenschaftlicher Vorstand er ist, teilnehmenden Einrichtungsleitungen eine spezifische, auf ihre jeweilige Einrichtung bezogene Fortbildung an. Diese basiert auf dem Nationalen Kriterienkatalog und dem QuiK-Programm, das von der pädquis Stiftung entwickelt wurden. Die Weiterbildung hilft dabei, auch mit knappen Ressourcen, das in der Kita zu erreichen, auf was es am Ende ankommt: viele lehrreiche, anregende Erlebnisse für die Kinder zu schaffen.

Zur Person

Prof. Dr. phil. Stefan Faas ist Professor für Sozial- und Kindheitspädagogik sowie Leiter des Zentrums für Qualitätsforschung und Monitoring in der Kinder- und Jugendhilfe (ZQM) an der PH Schwäbisch Gmünd und wissenschaftlicher Vorstand der pädquis Stiftung Berlin.

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