Zusammenarbeit als Wegweiser für die Bildung der Zukunft
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani ist einer der führendsten Soziologen und Bildungsforscher Deutschlands. Im Interview spricht er über Herausforderungen und Chancen unseres Bildungssystems, Superdiversität im Klassenzimmer und warum Schulen mit Gemeinschaftssinn und Anpassungsfähigkeit erfolgreicher sind.
Herr El-Mafaalani, Sie haben neben Ihrer Arbeit als Wissenschaftler und Lehrer auch in der Politik gearbeitet, haben also auch aus dieser Perspektive das Bildungssystem kennengelernt. Wenn Sie morgen das Bundesministerium für Bildung und Forschung übernehmen würden, auf was würden Sie zuerst Ihre Aufmerksamkeit richten?
Auch als Bundesbildungsminister hat man nur begrenzten Entscheidungsspielraum. Aber ich würde mich sehr darum bemühen, mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie mit der Kultusministerkonferenz intensiv und gut zusammenzuarbeiten. Immer mit dem Fokus: Was ist möglich, welche zwei, drei wichtigen Dinge bekommen wir zusammen pragmatisch und vernünftig umgesetzt? Ich denke, es gibt hier eine relativ große Schnittmenge an Zielen und konkreten Maßnahmen, auf die man sich verständigen kann, so dass rasch erste Erfolge zu erkennen sind und zugleich nachhaltige Entwicklungen angeschoben werden.
Worauf würden diese Maßnahmen inhaltlich abzielen?
Mir wäre es inhaltlich wichtig, vor allem die entwicklungstechnisch entscheidende Phase der Kindheit in den Blick zu nehmen: von Geburt bis etwa zum Ende der sechsten Klasse. Hier entscheidet sich sehr viel, deswegen sollte die frühkindliche Bildung und die Grundschule maximal unterstützt und gefördert werden. Das sollte unser Schwerpunkt sein. Ganz wichtig auf Seiten der Schule wäre es zudem, ein Fortbildungssystem für Lehrkräfte zu etablieren, in dem alle an der Lehrkräfteausbildung Beteiligten, inklusive der Fachkräfte an den Universitäten, Anreize bekommen, sich an diesem Weiterbildungssystem zu beteiligen. Und am Ende das Allerwichtigste: Als Bundesbildungsminister würde ich mir wünschen, dass der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister bei den entscheidenden Besprechungen involviert sind. Denn deren Segen brauchen wir, bei den Problemen, die auf uns zukommen.
Sie beschäftigen sich in Ihren Forschungen auch mit der superdiversen Gesellschaft. Superdiversität ist natürlich auch in den Klassenzimmern vertreten mit Kindern, die auf verschiedenste Weise Migrationsbiografien besitzen und die unterschiedlichsten Sprachen sprechen. Es gibt Schulen, die mit dieser Situation hervorragend umgehen. Was machen diese Schulen richtig?
Die Schulleitungen und Lehrkräfte an solchen Schulen nutzen ihre pädagogische Freiheit und nehmen sich Zeit für die Vielfalt ihrer Kinder. Sie sind neugierig, wollen selbst von der Superdiversität lernen. Die dort Arbeitenden wollen wissen, wo ihre Kinder herkommen, welche Sprachen sie sprechen, wie sie leben, welche Feiertage sie feiern. An vielen anderen Schulen gibt es deutlich weniger Bewusstsein für die nationale Herkunft, Sprachen oder Religionen, die die Kinder mitbringen. An den Schulen, an denen es gut läuft, kennen die Lehrkräfte ihre Kinder – und die Eltern. Sie wissen, was bei ihren Kindern zu Hause los ist. Oftmals machen nicht nur die dort eventuell arbeitenden Sonder- und Förderpädagog/-innen, sondern die Lehrkräfte selbst Hausbesuche bei allen Eltern, also nicht nur bei den “Problemfällen”.
Die Lehrkräfte dort haben erkannt, dass man auch ein bisschen Sozialpädagogin oder Sozialpädagoge ist – und die Sozialpädagog/-innen an diesen Schulen haben erkannt, dass sie sich auch für den Lernerfolg der Kinder interessieren müssen. Alle nehmen ernst, dass sie zu wenig können und wissen, um alles allein zu schaffen. Also entwickeln sich diese Schulen, sie passen sich an. An diesen Schulen ist es Normalität, dass man sich hinterfragt, dass man spätestens alle zwei bis drei Jahre die Arbeitsweise verändert, dass man adaptiert und optimiert. Die Menschen dort arbeiten in der Haltung, dass sie die Grenzen ihrer eigenen Funktion überschreiten müssen und dass sie einander brauchen, um etwas zu erreichen.
Sie sagen, dass die frühkindliche Bildung und die Grundschule entscheidende Rollen spielen. Worauf sollten sich Ihrer Meinung nach die weiterführenden Schulen konzentrieren?
Weiterführende Schulen sollten Spezialisten werden für Menschen, die recht plötzlich und erst im Jugendalter nach Deutschland kommen. Diese Kinder können oftmals kein oder wenig Deutsch, waren nicht in deutschen Kitas oder Grundschulen. Wir haben aktuell den Befund, dass die Aussichten für diese Jugendlichen sehr schlecht sind, sie müssten viel engagierter betreut und gefördert werden. Und ich habe den Eindruck, dass sehr viele weiterführende Schulen sie praktisch aufgegeben haben. An diesen Schulen hat sich die Haltung entwickelt, dass diese Jugendlichen schlicht zu spät kommen, nicht das leisten können, was von ihnen verlangt wird. Und die Verantwortung wird dann ein Stück weit an das Berufskolleg abgeschoben. Weiterführende Schulen brauchen einen Plan dafür, was passieren soll, wenn ein Kind mit 11 oder 15 nach Deutschland kommt. Es braucht eine deutliche Verbesserung der Unterrichtsqualität, ganz spezifisch für diese Schülerschaft.
Sie eröffnen 2025 die aim Bildungskonferenz. Die Biko fragt immer, wie die Bildung der Zukunft aussehen muss, und zu der gehört auch das Konzept der Digitalen Achtsamkeit. Was kann Schule leisten, damit Kinder einen verantwortungsvollen, reflektierten und gesunden Umgang mit Technologie lernen? Insbesondere wenn viele der Erwachsenen vielleicht gar nicht unbedingt selbst vorleben?
Ich stimme zu, dass wir uns zunächst einmal eingestehen müssen, selbst keinen guten, etablierten Umgang mit Technologien entwickelt zu haben, zumindest nicht mit denen, die wir im Alltag verwenden. Da fehlt es vielfach noch an einem gesunden Gleichgewicht. Das betrifft im Übrigen sowohl Lehrkräfte und Erzieher/-innen als auch Eltern und Kinder. Digitale Mittel wie Smartphones und Tablets werden nicht mehr aus unserem Leben verschwinden – und sie können sehr sinnvoll und lernförderlich eingesetzt werden. Viele digitale Tools funktionieren jedoch noch nicht so, wie man das in Schulen braucht, auch hier fehlen uns etablierte Strukturen und Traditionen. Deswegen ist es entscheidend, dass man mit den Entwicklern von digitalen Lösungen und Tools zusammenarbeitet. Als Beispiel: Ich bin Teil des Forschungsverbunds Digitalisierungsbezogene und digital gestützte Schul(kultur)entwicklung durch Multiprofessionelle Kooperation an ganztägigen Grundschulen, kurz DigiSchuKuMPK. Digitalisierung an Grundschulen ist so etwas wie die Champions League. Hier arbeiten am Ende Eltern, Kinder, Lehrkräfte, Sozialpädagog/-innen und Erzieher/-innen alle mit den gleichen Tools miteinander. Das ist eine große Herausforderung und hat zugleich enormes Potential. Hinter solchen Tools stehen Entwickler, die ihre Programme regelmäßig so anpassen und updaten, wie die Schulgemeinschaft es gerade braucht. So gestaltete Tools, die im direkten Kontakt mit der Praxis entwickelt werden, beseitigen nicht die Gefahren, aber sie zeigen das Potential der Digitalisierung. Und wer das Potenzial einmal sieht, kann mit den Gefahren besser umgehen.
Das vollständige Interview unseres Redakteurs Michael Klitzsch mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani lesen Sie in unserem Onlinemagazin Schulmanagement. Dort berichten wir regelmäßig über zentrale Erkenntnisse aus der Bildungsforschung – und wie wir diese in der Praxis nutzen können, um Kindern und Jugendlichen gerechte Bildungschancen zu ermöglichen.
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Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani ist nicht nur Soziologe und Bildungsforscher, er eröffnet mit seiner Keynote Speech auch die aim Biko am 29. März 2025 auf dem Bildungscampus Heilbronn. Seien Sie dabei!
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