Wie Apps & Co. die Sprachentwicklung von Kleinkindern fördern können

Interview

Dr. Karin Reber ist Sonderschullehrerin und Sprachtherapeutin. Als Expertin für Sprache, Medien und Inklusion erläutert sie, wie digitale Medien sinnvoll eingesetzt werden können, um Kleinkinder beim Sprachlernen zu unterstützen.

Wenn man viel falsch machen kann, ist es dann im Zweifel doch das Beste, digitale Medien so lange wie möglich aus dem Alltag von Kindern fernzuhalten?

Es geht, wenn man es richtig macht. Es kann aber auch schädlich sein, wenn man es falsch macht.

Welche Faktoren spielen eine Rolle, damit man es richtig macht?

Das hat verschiedene Aspekte. Die aktuelle Forschung legt nahe, dass es auf das Nutzungsverhalten, das Alter der Kinder, die Nutzungsdauer und die Nutzungsqualität ankommt. Das sind die großen Einflussfaktoren. Und da kann man viel richtig und viel falsch machen.

Wenn man viel falsch machen kann, ist es dann im Zweifel doch das Beste, digitale Medien so lange wie möglich aus dem Alltag von Kindern fernzuhalten?

Ich glaube, dass man digitale Medien von Kindern und Jugendlichen nicht mehr fernhalten kann, weil sie sowohl in der Familie als auch in der Kita oder Bildungseinrichtung zur sozialen Welt und Gesellschaft gehören. Wenn man an dieser teilhaben will, muss man sich diesem Thema öffnen und versuchen, Kinder auf diesem Weg zu begleiten. Früher hatte man eine Präventionshaltung, die Bewahrpädagogik der 1960er-Jahre – die ist einfach nicht realistisch.

Wie sollten Familien damit umgehen?

Kinder kommen ab ihrer Geburt mit Medien in Berührung, zu Beginn v. a. mit Hörmedien auch in Form von Musik. Für digitale Medien wie Tablets stellt sich die Frage: Wann ist es sinnvoll, dass sie sich aktiv damit beschäftigen? 2023 wurde eine neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin mit der Universität Witten/Herdecke veröffentlicht, die besagt, dass Kinder ab drei Jahren und nur in Begleitung von Erwachsenen digitale Medien nutzen sollten. Für Kinder im Alter von eineinhalb Jahren kann sich eine erhöhte Bildschirmzeit tatsächlich negativ auf die Sprachentwicklung auswirken, weil dann einfach die Lerngelegenheit für andere Dinge fehlt. Auch das wissen wir aus Studien. Bei dieser Altersgruppe sollte man digitale Medien sehr sparsam einsetzen.

Wie kann ich digitale Medien gut einsetzen?

Wichtig ist es, die Kinder zu begleiten und über die Inhalte zu sprechen. Wenn ich digitale Medien nutze, zum Beispiel ein kleinkindgerechtes Tiervideo, und darüber mit dem Kind rede, ähnlich wie bei Bilderbüchern, dann ist das anders. Dann bietet das Video eine Gelegenheit, miteinander zu sprechen, was gut für die Sprachentwicklung ist. Man kann auch immer wieder die gleichen Videos anschauen und sprachlich und inhaltlich mit seinen Fragen immer tiefer gehen, sodass das Kind seinen Wortschatz erweitert.

Wie ist das bei älteren Kindern?

Ab fünf Jahren profitieren Kinder stark von digitalen Medien, die Wissen vermitteln, wie zum Beispiel der App „DieMaus“. Wenn sie sehen, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen oder Ähnliches, ist das auch förderlich für die Sprachentwicklung. Und wenn sie dann schreiben und lesen können, eröffnet sich älteren Kindern eine weitere neue Welt. Auch hier gilt: Am besten begleitet man sie auf ihrem Weg am Anfang noch.

Aus der Forschung wissen wir allerdings auch, dass es bis zur siebten Klasse Unterschiede zwischen digitalem und analogem Lesen gibt. Wir müssen uns bewusst sein, dass man sich in digitale Medien einlernen muss. Das ist der Andersartigkeit im Vergleich zu analogen Medien geschuldet. Jüngere Kinder lesen zwar schneller digital, aber nicht so genau und es bleibt weniger hängen.

Sie sagen, dass es auch von den Inhalten abhängt, ob digitale Medien gut für die Sprachentwicklung sind. Welche können Sie für Kleinkinder empfehlen?

Generell ist für die Sprachentwicklung ein kindgemäßer Wortschatz wichtig, der ein bisschen über dem Niveau des Kindes liegt, sowie grammatische Zielstrukturen, die das Kind schon nutzen kann – aber keine elaborierte Sprache, wenn das Kind gerade mal Zwei-Wort-Sätze spricht.

Für Dreijährige gibt es schöne digitale Wimmel-Apps, z. B. „Mein Bauernhof“ von Wonderkind. Diese sind sprachfrei. Aber Bezugspersonen können ganz passgenau sprachlich begleiten, wenn sie bei der Nutzung der Apps dabei sind, und machen das auch intuitiv richtig. Hier kann man beispielsweise sehr gut Suchaufträge geben, für kleine Kinder einfach formuliert („Wo ist der Hund?“), für ältere komplexer („Ich sehe eine Oma, die Motorrad fährt“). Das funktioniert mit einem einzelnen Kind oder einer Gruppe. Wenn auch das Kind mal darf, hört es nicht nur zu, sondern spricht aktiv.

Die App „DerElefant“ von der Sendung mit der Maus bzw. dem Westdeutschen Rundfunk ist ab ca. 4 Jahren geeignet. Sie ist vom Sprachniveau her unterhalb der App „DieMaus“ angesiedelt und die Videolängen sind auf das Alter abgestimmt – mehr als zehn bis dreizehn Minuten können sich Kinder in dem Alter meist noch nicht auf eine Geschichte konzentrieren. Es ist wichtig, dass man sich erzählen lässt, was das Kind dort sieht oder gesehen hat – das ist qualitativ hochwertige Medienarbeit.

Für manche Eltern ist es vielleicht schwer vorstellbar, wie man sinnvoll mit Kindern über Videos spricht.

Ja, das fällt nicht allen leicht. Ich finde es deshalb sehr sinnvoll, zum Beispiel im Rahmen eines Elternabends in der Kita oder Schule zu demonstrieren, wie das aussehen kann. Geeignete Fragen sind etwa: Was ist jetzt passiert? Warum ist der XY jetzt traurig? Was, glaubst du, passiert gleich? Mithilfe von Beispielen kann das gemeinsame Sprechen über Videos dann auch zu Hause besser gelingen.

Wie ist es mit interaktiven Apps? Sind die besser oder schlechter als Videos?

Tatsächlich sind interaktive Apps dem rein passiven Konsum – wie etwa dem von Videos – überlegen. Es kommt hier aber auf die Art der Interaktion an. Es gibt Interaktionen, die die Handlung einer Geschichte unterstützen. Das ist besonders förderlich. Und dann gibt es Apps, bei denen zum Beispiel ein Tier mit dem Schwanz wedelt, wenn man daraufklickt. Das wirkt ablenkend vom Text und ist dadurch eine Interaktion, die nicht förderlich für das Verstehen und für die Sprachentwicklung ist. Ein weiterer Vorteil von interaktiven Apps ist, dass sie ein unmittelbares Feedback für das Lernen geben können – oft zeitnäher als echte Personen. Das ist sehr lernwirksam.

Inhalte aus digitalen Medien können auch den Alltag des Kindes positiv beeinflussen, neue Spielimpulse geben zum Beispiel. Oder?

Ja, man kann das auch aktiv fördern, indem man einen realen Anschluss an die App bietet, indem man zum Beispiel etwas zum Thema der App bastelt, in die Natur geht und dort sucht oder anwendet, was man in der App gesehen oder gelernt hat.

Warum ist das wichtig?

Je kleiner die Kinder sind, desto mehr müssen sie die Welt mit allen Sinnen erfassen. Die digitalen Medien sprechen nur den auditiven und den visuellen Sinn an. Aber Kinder müssen ganzheitlich lernen – je kleiner sie sind, desto mehr. Deshalb immer real und digital vernetzen! Wenn man das schafft, ist man auf einem guten Weg, der auch unsere gesellschaftliche Realität aktuell gut abbildet.

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