Die Eingewöhnung – bindungsstark ankommen in der außerfamiliären Betreuung

Barbara Weber-Eisenmann ist Kita-Leitung, Autorin und Mutter einer Tochter im Kindergartenalter. Für unsere aim-Blicke schreibt sie als aim-Botschafterin regelmäßig zu Themen der frühkindlichen Bildung. Ihr Fokus liegt dabei auf der bedürfnisorientierten Pädagogik.  
Folgen Sie Barbara Weber Eisenmann auch auf Instagram: @frau_zauberschoen

Die Eingewöhnung in der Kita oder bei Tageseltern ist für Eltern und Kinder ein großer Meilenstein. Meistens ist es die erste wirkliche Trennung von Kind und Eltern für einen längeren Zeitraum. Für Eltern ist es oft der Moment des ersten Loslassens, des bewussten Wahrnehmens eines wichtigen Schritts des Kindes in Richtung Eigenständigkeit. Für die Kinder ist es ein erster Schritt in eine neue, größere Welt außerhalb des vertrauten Familiensystems. 

Die sichere Bindung an eine neue Person ist die Basis für einen erfolgreichen Übergang in die außerhäusliche Betreuung.  

Häufig kursiert noch der Begriff der Fremdbetreuung, wenn es um die Betreuung außerhalb der Familie geht. Dieser Begriff ist irreführend, denn fremd sind die Menschen, mit denen die Kinder oft viele Stunden am Tag verbringen, nur ganz am Anfang. Im Laufe der Zeit werden sie zu wichtigen Bezugspersonen, zu Menschen, die trösten, begleiten, ermutigen, Sicherheit und Geborgenheit geben.  

In der Eingewöhnung ist es also wichtig, dass das Kind und die pädagogischen Fachkräfte eine Bindung, eine Beziehung zueinander aufbauen. Je sanfter und bedürfnisorientierter dies geschieht, desto besser und nachhaltiger.  

Es gibt viele verschiedene Modelle zur Eingewöhnung. Diese geben einen Rahmen vor, an dem sich sowohl die Fachkräfte als auch die Eltern orientieren können. Diese Modelle sind aber nie in Stein gemeißelt, sondern richten sich maßgeblich an dem Kind aus. Die pädagogische Fachkraft begleitet und steuert den Prozess, das Kind und dessen Bedürfnisse bestimmen jedoch Dauer und Ablauf der Eingewöhnung. 

Modelle zur Eingewöhnung

Das Berliner Eingewöhnungsmodell bezieht sich in seiner theoretischen Grundlage auf die Bindungstheorie nach John Bowlby. In diesem Modell wird das Kind durch eine pädagogische Fachkraft (sog. Bezugserzieher/-in) eingewöhnt. Der Fokus liegt auf dem Beziehungsaufbau zwischen der pädagogischen Fachkraft und dem Kind. Wird hier eine stabile Bindung hergestellt, kann der Übergang in die außerfamiliäre Betreuung für das Kind erleichtert und positiv gestaltet werden.

Das Münchner Eingewöhnungsmodell wurde von Prof. Dr. Kuno Beller entwickelt und bezieht sich in seinem Kern auf die Transitionsforschung. Das Kind wird hier in einer aktiven und kompetenten Rolle wahrgenommen, da man davon ausgeht, dass es sich mit etwas Unterstützung von außen aus eigener Kraft eingewöhnen kann.

Das Tübinger Eingewöhnungsmodell bezieht sich sowohl auf die Bindungs- und Transitionsforschung als auch auf die Peerbeziehungen. Im Fokus steht hier das Kennenlernen der Kinder untereinander. Es wird eine Gruppe von drei bis fünf Kindern zusammen eingewöhnt, damit sowohl die Eltern als auch die Kinder Beziehungen zueinander aufbauen können.

Wie läuft also eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung am besten ab?

Ein Elternteil ist am Anfang dauerhaft mit dabei und dient als sicherer Hafen bei der Beziehungsaufnahme zwischen Kind und Fachkraft. Dieser Elternteil muss nicht zwangsläufig die Mutter bzw. der Elternteil sein, zu dem das Kind die engste Bindung hat. Manchmal ist es sogar hilfreich, wenn es genau diese Person nicht ist. Die Person kann im Laufe der Eingewöhnung auch wechseln, sollte sich die Eingewöhnung nach einem längeren Zeitraum nicht weiterentwickeln. In beiden Fällen ist die Kita eine wichtige Ansprechpartnerin und steht den Eltern beratend zur Seite.  

In der Zeit der Eingewöhnung darf das Kind beobachten, entdecken, staunen. Es kann die Kitawelt erkunden oder sich alles erst mal anschauen, immer mit dem Wissen: Mama oder Papa sind da.  

Die pädagogische Fachkraft nimmt vorsichtig Kontakt mit dem Kind auf, versucht in Beziehung zu gehen und das Vertrauen des Kindes zu gewinnen. Der Elternteil nimmt sich immer mehr zurück und lässt die Beziehungsaufnahme zu. Nach ein paar Tagen, der genaue Zeitpunkt kann vom Verhalten des Kindes abhängig gemacht werden, verabschiedet sich der Elternteil für einen ständig wachsenden Zeitraum aktiv vom Kind. 

Es ist wichtig, dass das Kind weiß: Mama oder Papa verlassen jetzt den Raum, sie kommen aber wieder. Die pädagogische Fachkraft ist nun die primäre Ansprechperson für das Kind.  

Die Trennungszeit wird also Tag für Tag länger, dementsprechend auch die Bindungszeit zwischen Kind und Fachkraft. Das Kind taucht immer mehr in den Kitaalltag ein und nimmt jetzt an den einzelnen Tagesaktivitäten teil: Spielzeit, Essen, Schlafen.

Wichtig für alle Beteiligten zu wissen:

Das Kind darf weinen und Abschiedsschmerz verspüren. Entscheidend ist, dass das Kind dabei achtsam begleitet wird. Es ist ein Lernprozess für das Kind und gehört zum Abnabeln dazu. Ein verzweifeltes Weinen jedoch muss kein Kind aushalten! Es ist völlig legitim, an diesem Tag Eltern und Kind nicht zu trennen, kürzer zu trennen oder insgesamt in der Trennungsphase ein paar Schritte zurückzugehen.  

Je mehr Eltern und Fachkraft hier im Austausch stehen, desto besser. Die Eltern sind die Experten für ihr Kind. Eine gute, vertrauensvolle Erziehungspartnerschaft ist für die gesamte Kitazeit, aber vor allem während der Eingewöhnungszeit sehr wichtig. Je sicherer Eltern sich fühlen, desto leichter gelingt es ihnen, diese Sicherheit auf ihr Kind zu übertragen.

Jedes Kind ist anders

Jedes Kind ist anders und hat in der Eingewöhnungszeit andere Bedürfnisse. Je mehr das Kind in seiner Individualität gesehen wird, desto individueller und somit nachhaltiger kann auch die Eingewöhnung verlaufen. In Zeiten des Personalmangels ist das nicht immer einfach. Es muss aber jeder Fachkraft bewusst sein, welche Grundlage mit der Eingewöhnung geschaffen wird. Je sicherer die Bindung zur neuen Bezugsperson ist, desto sicherer fühlt sich das Kind. Ein sicher gebundenes Kind kann stark und selbstbewusst die neue Kitawelt erkunden und somit gut im neuen Lebensraum ankommen.  

Wenn das Kind, aber auch die Eltern also gut begleitet werden, die Bedürfnisse gesehen und respektiert werden, von (Zeit-)Schemen abgewichen und die Eingewöhnung als wichtige bindungsaufbauende Zeit betrachtet wird, dann ist sie eine wunderbare Basis für die gesamte Kitazeit eines Kindes.  

Nicht wir gewöhnen die Kinder ein, sie bekommen von uns lediglich den Rahmen, den Freiraum und den achtsamen Umgang, sich selbst eingewöhnen zu dürfen, also sicher und geborgen in der außerfamiliären Betreuung anzukommen.  

Die Kitawelt ist rund, bunt und voller Erfahrungen. Begleiten wir unsere Kinder so, dass sie sanft und sicher in dieser Welt ankommen dürfen.  

Alles Liebe,  

Barbara Weber-Eisenmann

Sie sind Fach- oder Leitungskraft in der frühkindlichen Bildung?
Bei uns finden Sie Fort- und Weiterbildungen, die Sie bei Ihrer Arbeit in Krippe und Kita unterstützen!
Jetzt Programmangebote entdecken

Jetzt zum aim Newsletter anmelden