
Biko 2025: Gemeinsam den Mut gespürt
Volle Räume, inspirierende Ideen und ganz viel Netzwerken: ein Tag auf der Bildungskonferenz der aim an der Seite zweier engagierter Lehrerinnen.
Es ist zehn vor elf am Samstag, 29. März, gerade ist die eröffnende Keynote der Biko 2025 von Professor Sebastian Kurtenbach zu Ende gegangen, jetzt nimmt die Konferenz mit einer Reihe von Vorträgen und Workshops an Fahrt auf – und Hannah Jahner beschleunigt ihren Schritt. Die 29-jährige Lehrerin aus München läuft auf die schwere Tür zum Konferenzraum H3 zu, die vor ihr langsam zugezogen wird. Ein entschuldigendes Lächeln des freundlichen aim-Mitarbeiters im neongrünen Biko-T-Shirt: “Wir sind leider schon voll.” Rumms, Tür zu. Aus dem Besuch von Hannahs Wunschveranstaltung Nummer eins im 11-Uhr-Slot Das Lernende Schulsystem: Paradigmenwechsel in der Bildung von Britta Klopsch und Anne Sliwka wird nichts. Hannah seufzt kurz, dann dreht sie sich auf dem Absatz um, entfaltet den Veranstaltungsplan der Biko 2025. Eine Alternative muss her. Schnell. Keine Minute später sprintet die Sportlehrerin im benachbarten Gebäude auf dem Bildungscampus drei Stockwerke hoch, Konferenzraum I 3.02 ist das Ziel: Selbstreguliertes Lernen ist nicht freies Lernen! mit Ferdinand Stebner. Doch auch hier: Tür zu. Schon voll.
Frust? Vielleicht ein bisschen. Aber nichts, was Hannah Jahner nicht beim nächsten Sprint über den Bildungscampus zu Workshop-Option Nummer drei abschütteln könnte. „Man weiß sowieso bei den Vorträgen nie genau, was einen wirklich erwartet. Es gibt immer auch positive Überraschungen“, sagt sie. So schnell lässt sich die angehende Lehrerin an diesem Konferenzmorgen nicht entmutigen.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Hannah Jahner, die heute mit ihrer Freundin und Arbeitskollegin Hannah Nieberding auf die Biko gekommen ist, schon ein bisschen Erfahrung damit hat, wie solche hochkarätigen Bildungsevents ablaufen. Beide wissen, dass sich hier meistens weit mehr Türen öffnen als schließen. Sie waren in ihrer noch jungen Lehrkräftelaufbahn schon auf drei großen Konferenzen – unter anderem auf der Biko vor zwei Jahren.
„Wir müssen nicht alles verändern – wir können einfach mithelfen, gute Ideen sichtbarer zu machen.“ (Hannah Jahner)
2023 war für sie auf dem Heilbronner Bildungscampus alles vor allem aufregend neu. Frisch mit dem Staatsexamen durch, noch in einer Findungsphase, war die Biko für sie ein Aha-Moment. „Wir haben dort realisiert, wie viele tolle Ideen es gibt – und dass Veränderung auch von unten geht“, sagt Hannah Jahner. „Wir müssen nicht alles verändern – wir können einfach mithelfen, gute Ideen sichtbarer zu machen.“

Und genau das taten Hannah und Hannah. Sie gründeten den Verein PUZZLE e.V. (kurz für: Perspektiven und Ziele für zukunftsfähiges Lehren und Lernen) und starteten einen Podcast. Mit ihren Projekten wollen sie das, was sie auf Events wie der Biko kennenlernen, weitergeben. An Lehrkräfte, Schulleitungen, an Bildungsakteurinnen und -akteure wie sie selbst, die nicht weiter auf große politische Reformen warten wollen, sondern im Hier und Jetzt etwas bewegen möchten. Sie wollen praktische Lösungen bieten für die konkreten Probleme, mit denen Lehrkräfte ringen. Sie wollen inspirieren, ermutigen und vernetzen. So wie die Biko auch.
Entsprechend sind sie dieses Mal mit einer neuen Perspektive nach Heilbronn gekommen. „Wir hatten 2023 noch keine eigene Unterrichtserfahrung“, sagt Hannah Nieberding. „Jetzt bringen wir rund zwei Jahre praktische Erfahrung mit – das verändert den Blick auf die Inhalte deutlich. Man kann besser einschätzen, was sich im eigenen Unterricht wirklich umsetzen lässt.“ Hannah Jahner ergänzt: „Wir haben eine klarere Agenda als beim letzten Mal. Wir waren vor zwei Jahren lange nicht so fokussiert wie jetzt.“
PUZZLE e.V. (Perspektiven und Ziele für zukunftsfähiges Lehren und Lernen) wurde von den Lehrerinnen Hannah Jahner und Hannah Nieberding gegründet. Der Verein versteht Schule als Ort des Wandels und möchte Lehrkräfte zum Mitgestalten ermutigen – durch Vernetzung und konkrete Praxistipps. Im PUZZLE-Podcast, der seit Herbst 2024 erscheint, sprechen die beiden Gründerinnen mit Fachleuten aus Bildung, Wissenschaft, Praxis und Politik über Bildung und das, was für engagierte Lehrkräfte vor Ort machbar ist, um Veränderung anzustoßen.
Das sieht man auf den ersten Blick. Die Hannahs tragen grüne „Puzzle e.V.“-T-Shirts. Sie haben einen Beutel mit dutzenden Postkarten dabei, auf denen QR-Codes zu ihrem Podcast auf Spotify führen. Und sie haben eine To-Do-List: sich aufteilen, um möglichst viel mitzunehmen, interessante Ideen aus den Vorträgen und Workshops festhalten, potenzielle Podcast-Gäste und Kontakte identifizieren, die zu ihrer Vision von Bildung und ihrem Podcast-Themenplan passen – und alle in den richtigen Momenten ansprechen.
Hannah Jahner sitzt inzwischen in Vortragsoption Nummer drei über Öffentlichkeitsarbeit von Schulen auf Social Media. Und sie ist im Multitasking-Macher-Modus. Sie lauscht den Ausführungen der Referierenden Susanne Posselt und Benjamin Fuchs, nickt, lässt ihren digitalen Pen über ihr Tablet sausen, ruft Listen und Dokumente auf, notiert sich etwas, kreist ein, verschiebt, notiert, malt Mindmaps, setzt Haken. Am Ende des Vortrags hat sie zwei „Puzzle e.V.“-Karten verteilt, eine auch an einen interessanten Gast, der im Publikum saß: die engagierte Lehrerin Verena, @mintgestalten auf Instagram.
Auch Hannah Nieberding ist sofort voll im Biko-Fieber. Sie kommt mit leuchtenden Augen von ihrem ersten Workshop Teachers on Stage – Bühne frei für inspirierende Lehrkräfte zurück: „Das war eine richtig gute erste Veranstaltung. Ich weiß gar nicht, ob es noch besser werden kann.“ Ein Schulleiter von der Evangelischen Schule Berlin habe darüber gesprochen, „wie wichtig es ist, Mut zu haben – auch mal außerhalb der Regeln zu denken.“ Er habe dazu ermuntert, sich auch im Graubereich zu bewegen, berichtet Hannah Nieberding. „Das war sehr inspirierend.“
Aber jetzt ist zu wenig Zeit für ausführliches Reflektieren. Next stop: @FrauForschung Lisa Niendorf – Ally sein. LGBTQIA+ als Bildungschance. Hannah Nieberding geht direkt vor Beginn der Veranstaltung mit dem Instagram-Star in Kontakt, tauscht sich aus, überreicht eine der QR-Code-Karten. Dann schleicht sie eine gute halbe Stunde später mit ein bisschen schlechtem Gewissen früher aus der Veranstaltung. Lisa Niendorfs Vortrag ist fantastisch – aber die Mittagspause mit der anderen Hannah geht vor. Prioritäten setzen. Auch das gehört zu einem vollgestopften Biko-Tag dazu.
„Mir ist heute mehrfach das Wort ‚Mut‘ begegnet. Das ist das Wort, mit dem ich heute nach Hause gehe. Mut, auch mal links und rechts zu schauen, sich zu trauen, Dinge im Sinne der Schüler:innen zu tun – auch wenn sie vielleicht nicht dem entsprechen, was gerade gängig oder etabliert ist.“ (Hannah Nieberding)
Zwischen Teller-Geklapper tauschen sich die beiden Hannahs in der Mensa aus, werfen sich Geschichten, Namen und Zitate zu. Hannah Jahner ist ein Satz einer Lehrerin besonders hängengeblieben: „Ich sehe gar nicht ein, dass ich das jetzt nicht machen kann, nur weil jemand sagt, dass ich das nicht machen kann.“ Die beiden Hannahs halten kurz inne, grinsen sich an. Sie fühlen diesen Satz.
Nach der Mittagspause ändern die beiden Hannahs dann spontan ihre Pläne und tun sich zusammen. Gemeinsam sitzen sie um 14:30 Uhr im prall gefüllten Raum I 3.02, in dem Professorin Uta Hauck-Thum über Schultransformation in Zeiten disruptiver Veränderung” spricht. Auch mit der renommierten Wissenschaftlerin sprechen die beiden nach ihrem Vortrag natürlich.
Eine Stunde vor der abschließenden Keynote der Biko 2025 werden die Hannahs langsam ein wenig ruhiger. Die meisten Leute auf ihren Listen sind inzwischen angesprochen, Karten wurden verteilt. Ihre Ideentanks haben sich gefüllt, ihre Akkus langsam geleert.
Bei der abschließenden Keynote von Julian van Dieken sitzen die beiden nebeneinander in der Aula, lauschen aufmerksam, lachen über die irren KI-Kreationen, die van Dieken auf den Leinwänden zeigt.
Nach diesem finalen Biko-Akt setzen sich die beiden Hannahs noch einmal für ein kurzes Interview für diesen aim-Blog auf die inzwischen verwaisten Würfel der Meet&Greet-Bühne im Erdgeschoss des I-Gebäudes. Sie reflektieren ein bisschen. Hannah Nieberding sagt: „Mir ist heute mehrfach das Wort ‚Mut‘ begegnet – in verschiedenen Veranstaltungen, von Menschen unterschiedlichen Alters. Das ist das Wort, mit dem ich heute nach Hause gehe. Mut, auch mal links und rechts zu schauen, sich zu trauen, Dinge im Sinne der Schüler/-innen zu tun – auch wenn sie vielleicht nicht dem entsprechen, was gerade gängig oder etabliert ist.“
Die andere Hannah nickt gedankenverloren. Auch sie hat den Mut gespürt. Und hängt auch noch dem letzten Vortrag nach: „Ich fand es total interessant, wie sehr ich KI-Tools inzwischen als selbstverständlich wahrnehme – gleichzeitig nutze ich sie kaum. Ich dachte bisher: Das ist nichts für mich. Aber das ist natürlich Quatsch. Es hat mich überrascht, wie stark ich mich da selbst ausgeschlossen habe.“
Auch neue inspirierende Menschen haben es auf den Radar der Hannahs geschafft. Bewundernd spricht Hannah Nieberding etwa über die Stuttgarter Kunstlehrerin Sarah Dahme, die als Einzelkämpferin Gelder eintreibt, Projekte stemmt und mit ihren Schüler:innen für den Grimme-Digitalpreis nominiert war. „Die hast du ja hoffentlich angesprochen?“, fragt die andere Hannah. „Natürlich!“
Und nun? So aufregend die Biko war, so schnell war sie wieder vorbei. Bleibt von ihr etwas hängen, wenn es in ein paar Tagen in den Schulalltag zurückgeht? Ja, klar, sagen die Hannahs. „Mir gibt so ein Tag wie dieser total viel“; sagt Hannah Jahner. „Und es ist für mich auch wie ein Bullshit-Filter. Durch den Input hier lernt man, schneller zu erkennen, womit man etwas anfangen kann – und was einen nicht weiterbringt.“ Hannah Nieberding stimmt zu: „Es gibt einem viel Inspiration, Dinge, die man ausprobieren möchte.“ Eins hat auf der 2025er Biko angefühlt wie auf der von 2023, sagt Hannah Jahner: „Jedes Mal merke ich: Es gibt andere wie mich. Selbst wenn man sich an der eigenen Schule manchmal allein fühlt – man ist es nicht. Menschen wie uns gibt es überall in Deutschland.“
Auf der Biko 2027 werden die Hannahs diese Menschen wieder treffen. Und viele von ihnen vorher bestimmt in ihren Podcast einladen.
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