Beziehungsarbeit geht immer

Warum Beziehungsarbeit mehr Zeit schenkt als kostet

Beziehung geht vor Bildung und das nicht nur im Lehrer, sondern auch im Klassenzimmer. In diesem Gastbeitrag teilt Matthias Zeitler, erfahrener Lehrer, Podcaster und Moderator, konkrete Ansätze und persönliche Einblicke, wie Beziehungsarbeit im Schulalltag gelingt – auch mit wenig Zeit, aber mit viel Wirkung.

„Wie machst du das eigentlich mit der Beziehungsarbeit? Warum gibt es bei dir scheinbar weniger Unterrichtsstörungen?“ Diese Fragen begegnen mir in meinen Fortbildungen für Lehrkräfte immer wieder. Meine einfachste Antwort lautet: Ich zeige mich als Mensch und nehme meine Schülerinnen und Schüler auch als Menschen wahr. Mit anderen Worten: Ich definiere mich nicht über meine Lehrerrolle und meine Klasse nicht über ihre Rolle als Lernende. Ich möchte gar nicht als Lehrer gesehen werden, sondern als Wegbegleiter in eine Ausbildung oder eine weitere Schule.  

Beziehungsarbeit ist keine Zusatzaufgabe 

Bevor ich in die Tiefe gehe, was Beziehungsarbeit bedeutet, möchte ich erstmal einen Mythos aufklären, den ich immer wieder höre: „Ich habe keine Zeit für Beziehungsarbeit, wie soll das gehen, wenn ich nur einmal in der Woche für 45 Minuten in der Klasse bin.“ Beziehungsarbeit kostet keine Zeit, sie spart Lehrkräften langfristig Zeit ein. Auch als Fachlehrer kann ich in 45 Minuten Beziehung gestalten. Vielleicht nicht so intensiv wie eine Klassenlehrkraft, aber es ist möglich. Natürlich unterscheiden sich Beziehungen zu den verschiedenen Kindern und Jugendlichen in der Tiefe, aber:

Es geht nicht, nicht in Beziehung zu sein.

Außer man bleibt zu Hause. Ein freundliches „Guten Morgen, wie geht es dir?“ gepaart mit ehrlichem Interesse kostet keine Minute. 

Konkrete Beziehungsgesten im Schulalltag

Jede Lehrkraft kann die Intensität ihrer Beziehungsangebote selbst gestalten. Es lohnt sich, eine klare Antwort auf die Frage zu haben: „Was ist mein konkretes Beziehungsangebot?“  

Die Basis jeder Beziehung im schulischen Kontext ist, dass Schülerinnen und Schüler sich wohl und ernst genommen fühlen. Lehrkräfte ermöglichen dies, indem sie im ersten Schritt zuhören, ohne sofort zu kommentieren. Sie sollten neutral bleiben und nicht ständig bewerten. Ein ehrliches Interesse am Menschen und seinen Bedürfnissen sollte Voraussetzung sein, in den Unterricht zu gehen. Dabei heißt Bedürfnisorientierung nicht, dass jeder machen darf, was er will. Natürlich gibt es Regeln. Aber besser als starre Regelplakate sind gemeinsam erarbeitete Werte. Denn die Regeln auf konventionellen Regelplakaten sind meistens von Erwachsenen vorgegeben oder wurden von Kindern so formuliert, weil sie denken, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer sie so hören wollen. 

Hilfe anbieten, nicht aufzwingen 

Gleichzeitig haben Lehrerinnen und Lehrer die Aufgabe zu helfen. Allerdings nie ohne Absprache oder von oben herab. Oft genügt schon die Frage: „Was brauchst du von mir? Soll und darf ich dir helfen?” Oder: „Ich habe das Gefühl, du bist… – Was ist los?“ Lehrkräfte sollten dabei immer in ihrer Rolle bleiben. Gleichzeitig gilt: Manche Dinge kann und soll ich als Lehrkraft nicht allein lösen. In solchen Fällen bedeutet Hilfe, die nötigen Kontakte zu Expertinnen und Experten herzustellen. 

Persönlichkeit zeigen in passenden Momenten

Ein entscheidender Faktor gelingender Beziehungsarbeit ist auch, etwas Persönliches über sich preiszugeben – natürlich nur in geeigneten und authentischen Momenten. Jugendlichen hilft es ungemein, zu sehen, dass auch Erwachsene ähnliche Probleme erleben oder erlebt haben. Das macht Lehrkräfte als Menschen greifbar und schafft Sicherheit und Vertrauen. Nur wenn ich selbst etwas von mir teile, werden sich auch die Kinder und Jugendlichen öffnen. Anders formuliert:

Man muss erst etwas auf das Beziehungskonto einzahlen, bevor man etwas abheben kann.  

Respekt und Konsequenz statt Strafe 

Wenn Lehrkräfte sich also öffnen und selbst mit der respektvollen Haltung ins Klassenzimmer gehen, die sie von anderen erwarten, bekommen sie etwas zurück. Respekt ist nichts, das man automatisch mit der Funktion als Lehrkraft erhält. Respekt erwirbt oder verspielt man durch Verhalten. Aber auch bei Konflikten gilt: Immer respektvoll bleiben. Das bedeutet nicht, jedes Verhalten gutzuheißen, aber zum Beispiel den Grund hinter einer Handlung verstehen zu wollen. Strafsysteme wie Ampeln oder Nachsitzen bringen wenig. Stattdessen geht es um Konsequenzen, die auf Verantwortungsübernahme und Wiedergutmachung beruhen. 

Augenhöhe, Fehlerkultur und Mitgestaltung 

Beziehungsarbeit gelingt auf Augenhöhe zwischen Lehrkraft und Kindern oder Jugendlichen – nicht im Sinne von Freundschaft, sondern von gegenseitiger Achtung.  Dazu gehört, dass man ehrlich ist, seine Gefühle äußern darf oder dass schlechte Tage haben erlaubt ist. Ein High Five oder eine Ghetto-Faust ist kein Freundschaftsvertrag, sondern für Kinder und Jugendliche eine normale Begrüßung. Ebenso wichtig ist eine positive Fehlerkultur. Fehler gehören dazu – auf beiden Seiten. Und: Wer Beteiligung ermöglicht, stärkt die Beziehung. Auch hier ein einfaches Beispiel: Was spricht dagegen, demokratisch zwischen mehreren Terminen für die Klassenarbeit abstimmen zu lassen? 

In alledem zeigt sich die Verlässlichkeit einer Lehrkraft. Schülerinnen und Schüler müssen sich darauf verlassen können, immer gerecht behandelt zu werden. Das bedeutet nicht, dass alle gleich behandelt werden – das wäre unfair, denn vielleicht brauchen Kinder und Jugendliche in derselben Situation unterschiedliche Dinge.  

Humor und Authentizität statt Rollenspiel 

Der wohl größte Hebel für Beziehungsarbeit und guten Unterricht ist der Humor. Wer gemeinsam lacht, lernt besser.

Gleichzeitig fördert Humor, nicht nur die Beziehung, sondern ist auch noch besonders wirksam in der Deeskalation von Konflikten.  Wenn es kracht und wummst, kann man als Lehrkraft nicht einfach weitermachen, als wäre nichts passiert, und sich dann wundern, warum der Laden nicht läuft. Stattdessen: Handbremse ziehen und in Beziehung treten. Und das am besten schon, wenn man das Schwarzpulver riecht und nicht erst, wenn das Fass explodiert. Beziehungsarbeit muss immer, immer, immer gehen, egal welche Termine gerade anstehen. Ohne eine gute Beziehung ist auch keine Bildung möglich. 

Lehrkräfte sollten keine Rolle spielen und versuchen, besonders streng oder locker zu sein. Sie sollten einfach sie selbst sein, bei sich bleiben. Das ist die größte Herausforderung und gleichzeitig der sicherste Weg zu einer tragfähigen Beziehung. Denn ein Rollenschauspiel ist das Erste, was Schülerinnen und Schüler aufdecken; und dann wird’s gefährlich.   

Eine letzte Bitte: Wer als Lehrkraft keine Lust auf Beziehungsarbeit hat, sollte den Beruf wechseln. Sofort! 

Tipps für Lehrkräfte 

  • Zeigen Sie ehrliches Interesse. 

  • Hören Sie zu und geben Sie nur auf Nachfrage Ratschläge. 

  • Erzählen Sie etwas Persönliches. 

  • Arbeiten Sie nicht mit Regeln und Strafen, sondern mit Werten und Konsequenzen. 

  • Behandeln Sie nicht alle gleich, aber gerecht. 

  • Zeigen Sie Humor, aber nur wenn sie ein humorvoller Mensch sind. 

  • Beziehung geht immer vor Bildung. 

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